Forschungsprojekte
Tourismus in Südtirol 1961 bis 1983
Die 1960er- und 1970er-Jahre markieren für Südtirol in mehrfacher Hinsicht eine Epochenschwelle: Mit der Ausarbeitung und Annahme des Südtirol-Paketes wurde das Fundament für das Zweite Autonomiestatut des Jahres 1972 gelegt, zugleich avancierte in jenen Jahren der Tourismus zur Schrittmacher-Industrie, er ließ neue Arbeitsplätze entstehen, brachte Investitionen ins Land und bedingte eine neue Konsumkultur. Er schuf Integration und Separation, führte zu Brüchen, bot ungeahnte Chancen, prägte Mentalität und Identität. Im Jahr 1960 zählte Südtirol 3,7 Millionen Nächtigungen, 1980 waren es schon 17 Millionen.
Das Forschungsprojekt des Touriseum - Landesmuseum für Tourismus - Schloss Trauttmansdorff „Tourismus in Südtirol von 1961 bis 1983“ will diese Jahre des sozialen Aufbruchs und die Metamorphose Südtirols Wirtschafts- und Kulturlebens kritisch beleuchten sowie erforschen, wie die Berührung zwischen dem deutsch-österreichischen Wirtschaftswunder und Italiens „miracolo economico“ in der „Scharnierregion“ Südtirol zu einem retardierten Boom und einer Zunahme des Wohlstands für breite Bevölkerungsschichten führten.
Die beteiligten Fachleute fragen sich dabei auch: Hilft die Rückschau auf die Ursprünge des Tourismus in Südtirol und die „Inkubationszeit“ des Südtiroler Wohlstands, um die Tourismusakzeptanz zu reflektieren, ja gar zu festigen? Und wie wurden die in Südtirol lebenden Menschen was sie heute sind? Sie analysieren, wie und wo Akquise und Ausbildung der touristischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfolgten, ob der Zustrom von Urlaubsgästen neue Weltanschauungen ins Land brachte und ob der Tourismus die Lebensweisen, die kulturellen und moralischen Codes der Südtirolerinnen und Südtiroler veränderte. Sie gehen zudem den Fragen nach, inwieweit der Massentourismus das Erfinden von Traditionen bedingte, beispielsweise das Zelebrieren der Törggele-Kultur, ob der Tourismus nach 1961 die bergbäuerliche Kultur in Südtirol rettete oder zerstörte und wie und von wem die alpine Idylle touristisch inszeniert wurde.
Die Forscherinnen und Forscher werden dabei archivalische und bibliographische Quellen sowie Fotoalben, Filmaufzeichnungen und Tagebücher auswerten, aber auch Stimmen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen einfangen (viele Tourismuspionierinnen und -pioniere sind in den 1940er-Jahren geboren und nun bereits über 80 Jahre alt).
Projektstart: August 2023. Das Projekt wird vom Forschungsfonds des Betriebs Landesmuseen gefördert.
Hinter den Kulissen
Lebens- und Arbeitswelt in den Hotels des südlichen Tirols/Südtirols zwischen 1880 und 1939
Das Feld der „Arbeitswelt Hotel“ ist in der Forschung noch wenig erschlossen. In seinem Forschungsprojekt, das über den Forschungsfonds des Betriebes Landesmuseen finanziert wurde und bis März 2020 lief, hat es sich das Touriseum daher zum Ziel gemacht, einen Blick hinter die Kulissen der Hotels zu werfen, in jene Bereiche der Arbeit, die den Gästen und anderen Außenstehenden meist unzugänglich bleiben. In diesem Sinne wurden die Lebensverhältnisse und der Arbeitsalltag von Hotelangestellten im heutigen Südtirol in der Zeit zwischen dem ersten großen Aufschwung des Tiroler Hotelwesens um 1880 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1939 untersucht. Um die damit verknüpften Forschungsfragen zu Berufsklassifikationen, sozialen Beziehungen, Wohn- und Dienstverhältnissen, Arbeitszeiten, beruflichen Laufbahnen, arbeitsrechtlichen Bestimmungen sowie zur Ausbildung und Herkunft von Hotelangestellten beantworten zu können, wurden einzelne Bestände sowohl der Sammlung des Touriseums, als auch jener weiterer Archive in Südtirol, Tirol und im Trentino sowie Privatsammlungen gesichtet und analysiert. Gleichzeitig wurden auch laufend Objekte und Unterlagen, die den Lebensalltag von Hotelangestellten in Südtirol dokumentieren, im Touriseum gesammelt und inventarisiert.
Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde im Oktober 2018 im Touriseum eine internationale Tagung zum Thema Hotelpersonal abgehalten, bei der sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen in einem weiten historischen und geografischen Bogen - vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart, von Tirol (Süd wie Nord), über Italien, Österreich, Deutschland und die Schweiz bis zum Balkan, zur DDR und zur Sowjetunion - mit dem Hotel als Lebens- und Arbeitsraum auseinandersetzten. Die Beiträge der Tagung sind in der Studienreihe des Touriseums „Tourism & Museum“ erschienen.
Zeitzeuginnen- und Zeitzeugenarchiv
Im Jahr 2013 hat das Touriseum damit begonnen, ein Zeitzeuginnen- und Zeitzeugenarchiv aufzubauen. Darin werden fortlaufend tourismusrelevante lebensgeschichtliche Erinnerungen gesammelt und gesichert. In der Saison 2016 hat das Touriseum Ausschnitte aus den Erinnerungen einzelner Generationen an ihren Alltag in familiengeführten Tourismusbetrieben in Südtirol in der Audio-Lounge „HOTEL.GENERATIONEN.ERZÄHLEN“ zugänglich gemacht. Eine umfangreiche Analyse der Interviews ist unter dem Titel „Das Große Ganze. Intergenerationalität in familiengeführten Tourismusbetrieben in Südtirol“ als sechster Band der Studienreihe des Touriseums „Tourism & Museum“ erschienen (hier finden Sie eine Rezension des Bayerischen Jahrbuchs für Volkskunde).